Im Gegensatz zu den szenetypischen Sprühwerken, die meist Namen oder Kürzel zeigen, werden kritische Parolen zu Gesellschaft und Politik an Brückenpfeilern, Hauswänden und Zügen meistens rasch entfernt und finden nur selten Erwähnung in der Lokalpresse. Ein bei der Anfang September dieses Jahres veranstalteten „Lincoln-Wall-Jam“ in Darmstadt entstandenes Bild löste ein kleines mediales Echo aus und veranlasste sogar die Darmstädter Christdemokrat*innen zu einer Pressemitteilung.
„Mit großer Sorge“ nahm man dort „die jüngsten Berichte über ein Graffito an der Lincoln Wall zur Kenntnis“ – hier „ein brennendes“ Fahrzeug, dort ein als „Beleidigung“ lesbares Akronym. So legitim es ist, diese Darstellung zu kritisieren, und sie soll hier auch nicht umgedeutet werden, so ungenau ist sie, denn der Wagen steht in Flammen, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes, oder er fährt durch sie hindurch, aber er brennt nicht. Als ich Ende September nach Darmstadt gefahren bin, war das Bild noch zu sehen, sogar mit dem kritisierten Akronym im Autokennzeichen, das laut Presseangaben eigentlich entfernt wurde. Offensichtlich hatte es also in der Zwischenzeit wieder jemand draufgeschrieben …
Deutlich mehr irritiert hat mich jedoch eine andere Aussage in derselben Mitteilung: „Jede Form von politischer Gewalt – sei es real ausgeübt, gebilligt oder auch nur künstlerisch inszeniert – ist abzulehnen.“ Eine künstlerische Darstellung mit der tatsächlichen Ausübung von Gewalt gleichzusetzen, finde ich schwierig, zumal gerade Kunst – inwiefern Graffiti Kunst sind sei einmal dahingestellt – auch unbequem, provokativ und Auslöserin für Diskussionen sein kann, sei es durch die thematische Wahl oder durch eine bewusst drastische Gestaltung. Darüber hinaus ist zu beachten, dass politische Gewalt sowieso nicht nur physisch (Angriffe, bewaffnete Auseinandersetzungen), sondern auch strukturell (Gesetze, Machtmissbrauch) oder symbolisch (Darstellungen, Worte) sein kann, je nachdem, wie und mit welchem Ziel sie ausgeübt wird. Spätestens hier könnte man sich auch noch die Frage stellen, inwiefern ausgerechnet Christdemokrat*innen mit dem Finger auf andere zeigen sollten, wenn man bedenkt, welche Äußerungen von ihrer Seite, sogar aus höchsten Reihen, in jüngster Vergangenheit Schlagzeilen machten („Kleine Paschas“, „Zähne machen lassen“, „Zirkuszelt“, „Stadtbild“).
Dennoch würde ich mir bei Veranstaltungen dieser Art eine anspruchsvollere Darstellung zum gleichen Thema wünschen. Schließlich handelt es sich um Flächen, für die sich andere, Personen aus (Sub-)Kultur und Politik, stark gemacht haben. Don‘t shit wehere you eat? Weiterhin könnte ich mir vorstellen, dass eine andere Darstellung nicht nur mehr Aufmerksamkeit für das eigentliche Thema selbst erzeugen würde, sondern auch viel häufiger in den Sozialen Medien geteilt und verbreitet werden würde, als das übliche Anti-Cops-Gepöbel auf dem Niveau von Fankurven-Neandertalern.
Zum Thema Kunst und Konflikte hat das Peace Research Institut Frankfurt übrigens ganz aktuell eine neue Podcast-Folge veröffentlicht: PRIf talk: Kunst und Konflikt – Kunst im Konflikt.].

























